Die vier Kernkompetenzen migrationsgeprägter Gesellschaften

 

Aufgrund der verschiedenen Zuwanderungsbewegungen befinden sich die Aufnahmegesellschaften in einem tiefgreifenden, migrationsbedingten, gesellschaftlichen Wandel. Insbesondere die städtischen Ballungszentren haben sich in sozialer, kultureller, ethnischer und religiöser Hinsicht stark pluralisiert. Die Transnationalität der Lebenswelten, die globalen Netzwerke und Mobilität nehmen weiterhin zu. Es gilt, sich den vielfältigen Chancen, Potenzialen und Herausforderungen verantwortungsvoll und zukunftsorientiert zu stellen. Dafür werden vier Kernkompetenzen in migrationsgeprägten Gesellschaften gebraucht:

Migrations- und Mobilitätskompetenz

Die Migrations- und Mobilitätskompetenz bezieht sich auf die Fähigkeit, für die verschiedenen Formen der regulären und nicht regulären, sowie der gesteuerten und nicht gesteuerten Zuwanderung adäquate und wirksame Strategien und Instrumente entwickelt zu haben. Sie muss den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen, wie auch den humanistischen und menschenrechtlichen Verpflichtungen gerecht werden. Der Trend zu temporärer und zirkulärer Migration wird sich fortsetzen. Die Lebenswelten der Menschen werden transnationaler. Um den Wohlstand und die soziale Sicherheit zu erhalten, braucht es Zuwanderung. Dafür muss sich die Haltung ändern, die noch auf Begrenzung und Abwehr ausgerichtet ist. Die paradoxe Haltung „Wir brauchen Zuwanderung, wollen sie aber nicht!“ führt zu Selbstblockaden und muss zugunsten eines kohärenten Gesamtentwurfes aufgebrochen werden.

Aufnahme- und Integrationskompetenz

Die Niederlassung, Orientierung, das Zurecht– und Einfinden in eine neue Gesellschaft sind mit der Zuwanderung verbunden. Integration ist davon abhängig, unter welchen Voraussetzungen Menschen zugewandert sind, welches Humankapital sie mitbringen, wie sie aufgenommen worden sind und welches gesellschaftliche Klima sie vorfinden. Eindrücke der Anfangsphase sind prägend und wirken lange nach. Es sollte für die verschiedenen Gruppen je nach Bedarf und Lebenslage angepasste integrative Maßnahmen geben, die sie für ein eigenständiges Leben befähigen. Es braucht dafür eine neue Vereinbarungskultur. Die Zugewanderten verpflichten sich einen Beitrag für eine gelungene Integration nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten zu leisten und werden mit einem entsprechenden Anreizsystem unterstützt. Die Aufnahme- und Integrationskompetenz bezieht sich auf die ersten 10 bis max. 15 Jahre.

Teilhabe- und Inklusionskompetenz

Während die Aufnahme-  und Integrationskompetenz für die Anfangsphase der Zuwanderung bedeutend ist, bezieht sich die Teilhabe- und Inklusionskompetenz auf jene Menschen, die bereits länger hier leben (Migranten der zweiten und dritten Generation). Im Wissen, dass Migration oft auch mit sozialer Ungleichheit einhergeht, wird es zukünftig eine zentrale Aufgabe sein, Chancengerechtigkeit und Teilhabe für alle in dieser Gesellschaft lebenden Menschen zu gewährleisten. Es geht darum, dass Regelsysteme der Realität einer neuen, kulturell diversen Gesellschaft entsprechen und Chancengerechtigkeit und Teilhabe fördern. Angebote und Dienstleistungen sollten für alle Zielgruppen in einer pluralen Gesellschaft in gleicher Qualität zugänglich sein und entsprechende Wirkungen entfalten können. Das ist Ziel einer qualitätsorientierten Inklusionspolitik in einer diversen Gesellschaft. Wenn Menschen ungleiche Voraussetzungen haben, führt der Ansatz „one size fits all“ zu ungleichen und unfairen Folgewirkungen. Zur Inklusionskompetenz einer Gesellschaft zählen der Abbau von Bildungsbenachteiligungen, die soziale und politische Teilhabemöglichkeit, sowie der Abbau von Hürden zur Erlangung der Staatsbürgerschaft. Migration ist in diesem Sinne ein Treiber für Modernisierung und Weiterentwicklung der Regelsysteme.

Menschenrechtsbasierte Pluralitätskompetenz

Die Zuwanderung hat die Aufnahmegesellschaften in vielen Bereichen bunter gemacht. Mit Pluralität gehen aber auch Irritationen, Herausforderungen und Probleme einher. Es ist wichtig, offen und verantwortungsvoll über Herausforderungen, Probleme und Chancen von mehr Vielfalt – jenseits bloßer Ressentiments – zu diskutieren. Es ist ein verantwortungsbewusster, konstruktiv-kritischer Diskurs notwendig, der auf ein gemeinsames Zusammenleben abzielt. Menschenwürde und Grundrechte sind dafür die Basis. Ziel sind der Erhalt, sowie die Weiterentwicklung und Förderung demokratischer Normen, die durch Berufung auf Kultur oder Religion nicht relativiert werden können. Pluralität zwingt zur Reflexion der eigenen Werte und Ideale. Wenn wir uns als eine lernende Gesellschaft verstehen und die Debatte auf der Grundlage von Menschenwürde und Menschenrechten führen, können die Rechte und Bedürfnisse eines Jeden bestmögliche Berücksichtigung finden.